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Die Kunst, eine Affäre zu vermeiden

Sie saßen neben einander am Schreibtisch, er rückte immer näher,ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie genoss die Berührung seineslinken Armes so sehr-aber was in aller Welt ritt ihn denn?Wenn jemand sie beide sah…nein, nicht einmal ganz dicht beieinander durften sie sitzen!Es durfte niemand; kein Mensch auch nur Verdacht schöpfen…denn DAS Gerede wäre für sie beide tödlich!Im Grunde genommen war ja auch nichts. Nichts, was man in Wortefassen konnte. Noch nicht. Denn sie fing schon so lange seine begehrlichen Blicke auf…er.

Er hatte damit angefangen. Ok, er gab sich IMMER so. Ständig Sprüche. Das war sie gewohnt. Sie reagierte nicht darauf. Hatte zumindest nicht reagiert. Bis sie endlich nach der vierten Niederlage innerhalb eines Jahresdoch schwach geworden war. Oh ja, sie war schwach. Sehr schwach. Und er war so…aufregend!Er konnte sie mit seiner Art zur Weißglut treiben- besonders,wenn er herum kommandierte. Dann gab sie ihm paroli- auf ziemlichdirekte Art. Das gefiel ihr. Dann konnte sie wenigstens direkt etwas sagen…Im Grunde genommen hatte sie nach der letzten, wirklich herben Enttäuschung nur ihre Liebe von einem Mann auf den anderen übertragen…und hatte in ihrem Chef malwieder ein perfekt insBeuteschema passendes Objekt gefunden!Das Aufregende an ihm war, dass sie erst nach und nachentdeckte, wie interessant und … gutaussehend er tatsächlich war!Groß, schlank, lebenserfahren, intelligent, sportlich…und verheiratet, Vater von zwei kleinen Kindern.

Was er ihr aber auch ständig für Dinger an den Kopf warf!Da war der Spruch- hinter ihrem Rücken, seufzend- „Ach, ja…ich brauch einen Liebestrank…“Oder er erwähnte andauernd schlechten Sex…erzählte von seinen Prostataproblemen…Heute morgen hatte er im Büro von seiner „Schwanenhand“(einer Erkrankung der Handsehnen, bei der durch Knoten-bildung die Finger immer krummer wurden) erzählt, unddem Praktikanten doch tatsächlich an den Kopf gehauen,er meine wohl, das käme vom Wichsen… Sie hatte nach dem einen Jahr Zusammenarbeit den Eindruckbekommen, dass er einfach gerne redete.

Und sexuell völlig unausgelastet war. Was wohl bedeutenmusste, dass er auch nicht glücklich war…Willkommen im Club, dachte sie grimmig und wehmütig,und ihr Herz zog sich zusammen, als die Tür aufging under hektisch durch den Raum lief, um dieselbe offen zu lassenund wieder nach nebenan zu gehen. Oh ja, er war mindestens so nervös wie sie!Und er verstand ihr teils abweisendes, teils ihn ermutigendesVerhalten ganz und garnicht. Jedenfalls hatte er vorhin in eine reine Damenrunde gesagt,er verstehe die Frauen nicht.

Sie war seinem Blick ausgwichen,hatte betrübt geguckt und nur gemeint: „Na toll!“DAS war also alles, was sie mal wieder erreicht hatte. KompletteVerwirrung. Der Impuls, seinen Arm zu schnappen und ihn in eine ruhige Ecke (die es in diesem Haus einfach nirgendwo gab)zu ziehen, um ihn in die Arme zu schließen und ihm endlich, endlich alles zu erklären, war so stark, dass sie lieber rausgegangen war. Am Schreibtisch sitzend, schüttelte sie impulsiv den Kopf. Es war genauso seine Schuld.

Er MUSSTE das doch verstehen!Wenn er nur wüsste, wie sie wirklich war…Ach, wenn es ihn doch interessieren würde!Doch da war die Gefahr, groß, dunkel, bedrohlich. Wenn davon irgend etwas rauskommen würde…!Wenn je seine Frau hier auftauchte… niemand würde was merken-aber sie garantiert! Und damit wäre sie dann wohl ihrenJob los. Und das zurecht. Man spannte keine verheirateten Väter aus, noch nicht einmalunabsichtlich. Nein. Der niedrigere Testosteron-Spiegel im Blut der Frau setztesie immer ins Unrecht.

Jedenfalls, sobald sie erwachsen genugwar, zu wissen, was sie da tat. Und sie wusste es. Jetzt war sie fertig mit Einschreiben. Automatisch ging sie wieder nach drüben. Ihr Chef und Jörg, ihr Kollege, saßen noch immer ziemlich bequem in der Runde, je links und rechts neben sich die meist schlafenden Bewohnerinnen. Sie schlich sich von hinten an eine Dame im Rollstuhl an. Jörg erkannte ihr Vorhaben und grinste gutmütig. Ihr Chef blickte- absichtlich, wie ihr schien, woanders hin.

Sie piekte die süße kleine Frau ein bißchen in die Rippen,und sie lachte. Der gesamte Raum war inzwischen aufmerksam geworden- bis auf ihn. Ach mensch, wie sollte er sich denn auch verhalten. Ihm ginges doch genauso. Es war aber auch blöd, dass er ausgerechnet ihr Chef war!Erstens hasste sie nichts mehr als Kollegen, die alles weitertrugen. Das heißt, sie musste manchmal einfach gegen ihn arbeiten. Und sie war ja auch nicht immer seiner Meinung.

Das würde sich auch nie ändern. Trotzdem machte es sie traurig, dass sie ihm manches einfach aus kollegialem Zusammenhalt nicht sagen konnte. Zum Beispiel, warum Mandy heute so still gewesen war. Gleichzeitig hatte sie den Eindruck gehabt, alle hintergangen zu haben. Sie hatte ihn den ganzen Vormittag nicht ansehen können, so mies fühlte sie sich. Weil sie Mandy die unangenehme Wahrheit ins Gesicht gesagt hatte. Jetzt kam sie in die Runde, setzte sich auf einen freien Stuhl.

„Oh, ich bin auf einmal müde! Irgendjemand hat mir die Energieentzogen!“ Dabei sah er sie an, und ihr fiel, wie immer, erstmalnichts darauf ein. Doch dann blickte sie auf die magere, schwerst demente Frau neben sich. Diese redete kaum, lief viel umher und zog meistens ein finsteres Gesicht. Sie machte eine eindeutige Bewegung in ihre Richtung. „Mrs. Z. Ist ein unglaublicher Energiekiller“ murmelte sie. Er verstand nicht gleich, zumindest nicht mit dem Kopf. „Na, Mrs.

Z. ! Wenn ich sie hab, bin ich hinterher total im Eimer. “Sie spürte seinen faszinierten, aufmerksamen Blick auf sich. Warum konnte nicht alles ganz einfach sein? Warum durften sieihre Bedürfnisse nicht ausleben?Jörg war derweil nach draußen gegangen. Also durfte sie zurückschauen. Sie zog einen Mundwinkel, eine Schulter hoch. „Ja, sowas gibt’s tatsächlich. Also, für mich jedenfalls. “Er nickte und grinste. „Ich weiß. “ Dabei spitzte erleicht die Lippen. Über eine weißhaarige Dame hinweg sahen sie sich an.

Und zum ersten Mal wichen sie einander nichtaus. Sie bemühte sich, alles in diesen Blick zu legen, wassie zu sagen hatte. Es war viel. In seinen Augen sah sie…Angst, Aufregung, Verwirrung. Dann glitt sein Blick zu ihrem Mund, und nun zuckte er endlich deutlich erschrocken zurück. Traurig sah sie ihn an. Er lief rot an und rannte hinaus. Sie nahm sich die Gitarre und begann leise zu singen:„Horch, was kommt von draußen rein“. IIAm nächsten Tag mied er ihren Blick.

Mied ihren Blick,schickte sie nach oben und ließ sie dort allein. Sie arbeitete, halbwegs erleichtert, vor sich hin. Zum Glück gab es immer genug zu tun!Wenn sie ihn suchte, wich er ihr aus, bis sie es auf-gab. Zum Ausgleich war sie besonders fürsorglich, halfüberall und sprach kein schlechtes Wort über irgend jemanden. Zwar tat es weh, aber die Erleichterung war größer. Siewollte ihm dies gerne klar machen. Doch reden? Mit einem Mann? Über Gefühle, die diesem vielleicht nichteinmal ganz bewusst, geschweige denn geheuer waren?Und das Ganze auf Arbeit, wo sie nie, nie, nie alles preisgeben durfte? Jede Nacht träumte sie von ihm.

Beim Einschlafenmusste sie sich einfach vorstellen, wie sie seinen Kopfan sich drückte, ihn küsste, streichelte…und dabei hoffte, dass seine Frau das für ihn tat. Sie wollte so sehr, dass es ihm gutging. Ob es irgendwo auf der Welt jemanden gab, der sie verstand?Der ihre Art, Liebe zu geben, akzeptieren konnte?Sie wusste inzwischen, dass selbst all diese Impulse,die zwischen ihnen hin und her gelaufen waren, nichtbis zum Bewusstsein eines Mannes vorzudringen brauchten. Es konnte durchaus sein, dass er sich garnicht im Klaren war, was da zwischen ihnen lief.

Wahrscheinlicher fand sie allerdings die Variante, dasser hartnäckig vor sich und allen anderen seine Gefühleleugnete. Ach, wie gerne hätte sie ihm geholfen. Sie konnte ihn ja verstehen. Sie wollte doch nichtszerstören- und doch waren ihre Gefühle für ihn so stark,so…er war einfach heiß- und sie musste wahnsinnig aufpassen, dass sie sich nicht die Finger verbrannte!In der darauffolgenden Woche- es regnete, und sie hatteerneut fast nur noch auf ihrem Wohnbereich zu tun-fand sie allmählich wieder zu einer kühlen, höflich-distanzierten Umgangsform zu ihm zurück.

Das ging sogar so weit, dass Mandy sie fragte, ob sie etwavon ihm Anschiss gekriegt hätte. Sie antwortete, dass sie sicher im Moment wieder einiges falsch machte,was Mandy sehr wunderte. Denn niemand hatte was auszusetzen. Sie machte ihre Arbeit, grüßte ihn freundlich, aber knappund ging dann heim, wo sie sich aufs Bett warf und heulte. Das ging so lange gut, bis sie beide, die einander wieder auswichen, wie in der ersten Zeit, miteinander im Fahrstuhl fuhren.

Es war reiner Zufall gewe-sen, dass sie beide einstiegen. Plötzlich gabes einen Ruck- das Licht flackerte, und der Fahrstuhl blieb stecken. „Scheiße!“ murmelte er, und sie kam zu ihm rüber, umim Dunkeln nach dem Alarmknopf zu tasten. Ihre Finger berührten sich, und hier, im Dunkeln, konntesie einfach nicht zurück zucken, und sie spürte deutlich,wie er ganz zart seine Hand auf ihre legte. Sie spürteseinen Körper hinter sich, sein Atem kitzelte sie im Genick, alser flüsterte: „Platzangst?“ „Nö!“„Ich schon!“„Wasn mit dem Handy?“Er räusperte sich.

Dann lauter: „Das liegt im Büro. “„Da liegts gut. “Sie fühlte sich erheitert, drehte sich zu ihm um, klopfte gegen die Wand. Rief. Er stand noch immer dicht hinter ihr. Fast berührten ihre Körper sich. Er legte eine Handauf ihre Schulter. Sie zitterte. Vorsichtig, wie aus Versehen, lehnte sie sich ein wenig an ihn. Ihr Herz hämmerte ebenso wie seins. Sein Atem ging schnell und flach. „Scheiße, wenn wir nicht bald rauskommen, klappich zusammen! Hier, fühl mal mein Gesicht, ich bin klatschnass!“Und er tastete um ihren Bauch herum, nach ihrer Hand,nahm sie und zog sie so zu seinem Kopf, dass sie sichumdrehen musste.

Er führte sie an seine Schläfe. Sie war glitschig von Schweiß. Maria wusste nicht, wassie tun sollte. Ohne weiter nachzudenken, streicheltesie sein Gesicht, fuhr über seine Stirn, die Nase ent-lang, hielt kurz vor seinen Lippen. „Echt, isses so schlimm? Kann man da irgendwas machen?“Er lachte ein bißchen. Dann hob er den Kopf, so dass ihre Fingerspitzen direkt auf seine Lippetrafen. Es kribbelte wie durch einen elektrischen Impuls und sie nahm die Hand weg, berührte mit derFingerspitze sein Schlüsselbein und ließ sie dannauf seine Schulter fallen, wo sie beruhigend kreiste.

Er lehnte sich an sie, umfasste ihren Körper und zogsie mit seinen Armen zu sich ran. Sie gab allen Widerstand auf, erwiderte seineUmarmung, bog sich zu ihm hoch, legte ihrGesicht an seinen Hals und strich mit sanftenBewegungen über seinen Rücken, die Rechte weiterunten, bei der Hüfte, der Daumen vorne, die Linke strich über seinen oberen Rücken, den Nacken,die kurzen Haare, den Scheitel, kreiste dort. Sein Gesicht lag neben ihrem, sein heißer Atem bließ ihr ins Ohr, seine Hand suchte ihren Kopf,drückte ihm ihr Gesicht entgegen…„Nicht zusammenklappen, ganz ruhig.

Alles gut. Versuch mal, tiefer zu atmen!“Damit rückte sie von ihm ab, aber nur ein kleinesStück. Er zuckte zusammen. „Hilft alles nüscht,was meinst du, was ich schon alles versucht hab!“„Na gut! Ganz wie du meinst. “Damit hämmerte sie nochmal gegen die Fahrstuhltüreund schrie sehr laut: „Hee! Warum hört uns denn hierkeiner!“Da! Eine Antwort. „Der Monteur ist unterwegs!“ Wer es war, konnte man nicht feststellen, es waren mehrere. Er ging auch zur Tür und rief: „Hi Andre!Schönes Wetter hier drinne!“Dann entspann sich ein etwas sinnloses Gespräch zwischen den beiden.

Sie beobachtete ihn dabei sehr interessiert, bis ersich doch wieder zu ihr drehte. Inzwischen stand siein der Taiji- Grundhaltung und konzentrierte sich auf ihren Atem. „Sag bloß, du hast auch Platzangst!“Sie schüttelte den Kopf, konzentrierte sich weiter. Spürte, wie er sie verblüfft ansah. Lächelte. „Das hilft auf jeden Fall immmer cool zu bleiben. “„Aha. “Lange konnte er nicht ruhig sein. Doch sie spürte,wie sie sich immer mehr entspannte. Schließlich ließ sie die Arme sinken, öffnete die Augen und wollte wie-der ein Stück auf ihn zugehen.

Er hatte sich in eineEcke gesetzt und die Augen geschlossen. Alter Schauspieler! Konnte es scheinbar nicht mal ertra-gen, wenn sich nicht alles nur um ihn drehte. Leise rief sie seinen Namen. Keine Antwort. Sie rief etwas lauter. Immernoch nichts. Erschrocken ging sie zu ihm, prüfte, ob sein Atem ging. Alles war normal, sein Puls ging wieder ruhig. Er lehnte gegen die Wand. Sie kniete sich neben ihn, strich einige Male überseinen Kopf…flüsterte, dass gleich jemandkommen würde.

Er regte sich nicht. Da wurde sie traurig. „Ach, Scheiße!“Sie bettete seinen Kopf in ihren Schoß, streicheltesein Gesicht und dann kamen ihr Tränen. Sie liefen aus ihren Augen, tropften auf seine Stirn,immer mehr, sie weinte alles raus, die ganze Anspannungder letzten Wochen, die Trauer, ihre Einsamkeit, ihreSehnsucht.


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